Profile der 1970er Jahre

Ein Themenportal des Seminars für Zeitgeschichte Tübingen

Jahrzehnt des historischen Widerspruchs

Intellektuelle Sympathisanten der RAF - Woher kam die Bereitschaft?

Almuth Ebke

Die Taten der RAF, die noch heute, dreißig Jahre nach dem "Deutschen Herbst", die Gemüter erregen, sind nicht immer auf ungeteilte Ablehnung gestoßen. In der Nacht nach der Entführung Hanns Martin Schleyers wandte sich Helmut Schmidt in einer Fernsehansprache beruhigend an die Bevölkerung, gleichzeitig aber auch an die Terroristen und besonders an die "Sympathisanten", die ihre "irregeleitete Unterstützung", so Schmidt, aufgeben und mit dem Staat kooperieren sollten. Woher aber, so ist zu fragen, kamen die ‚Unterstützer', die außerhalb der RAF-Struktur lebten und - meist waren es Intellektuelle - öffentlich Position gegen das Vorgehen der Regierung bezogen und Verständnis für die Terroristen der Baader-Meinhof-Gruppe aufbrachten. Worauf gründeten und woraus speisten sich Interesse und Verständnis?

Am Beispiel Rudi Dutschkes wird ein grundlegender Berührungspunkt deutlich: Die Sympathie, auf die die frühen Taten der RAF insbesondere in linken intellektuellen Kreisen stieß, kann vor allem durch eine gemeinsame Herkunft begründet werden. Denn die RAF sah ihre Wurzeln, wie die Studentenbewegung, in den gesellschaftlichen Bedingungen der Nachkriegszeit, die im Umfeld von "1968" ins Zentrum der Wahrnehmung gerieten. Viele Intellektuelle waren Anfang der 1970er Jahre auf die eine oder andere Art mit der Studentenbewegung in Berührung gekommen; sei es als Student, Dozent oder Teil der interessierten Öffentlichkeit. Diese Bewegung hatte eine Demokratisierung von der Basis her und die Politisierung aller Lebensbereiche zum Ziel. Als verbindendes Element kann die kritische Theorie der Neuen Linken gesehen werden, die die These vertrat, dass zur Revolutionierung der Massen nicht mehr das Proletariat, sondern vielmehr Studenten vonnöten seien. Nach dem Scheitern des Protests gegen die Notstandsgesetze 1969 und der Auflösung des SDS 1970 zerfiel die Bewegung in Splittergruppen, die sich, wie die RAF, teilweise radikalisierten. Trotz des Scheiterns fand die Bewegung Widerhall in der Gesellschaft; ein Hintergrund, vor dem die "antiimperialistisch" ausgerichteten Bombenattentate der "Mai-Offensive" der RAF verstanden werden müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Diskurs "Gewalt gegen Sachen" auch innerhalb der Studentenbewegung heftig diskutiert wurde und die frühen Anschläge der RAF teilweise als konsequente Weiterführung des Kurses des militanten SDS-Flügels gesehen wurden. So erscheint Rudi Dutschkes Distanzierung von der Gewalt der RAF, nicht aber von der Gewalt gegen staatliche Machtanwendung im Allgemeinen sowie sein Hinweis auf dieselben ‚Wurzeln' nur konsequent, was er auch während der Entführung Hanns Martin Schleyers vertrat. Harald Uetz präzisiert dieses Phänomen treffend, wenn er feststellt, dass sich die Linke immer dann mit der RAF am meisten identifizieren konnte, wenn diese eher gewaltlose Formen des Widerstandes übte, beispielsweise bis zur "Mai-Offensive" 1972 oder während der Hungerstreikaktionen. In Zeiten der Eskalation hingegen distanzierte sie sich von der RAF, wie nach den ersten Attentaten 1972 oder während der "Offensive´77".

Doch ein gemeinsamer Hintergrund genügt nicht, um das häufig geäußerte Verständnis für terroristische Aktionen zu erklären. Denn damit die terroristischen Anschläge der RAF Sympathie entfachen konnten, musste Einigkeit herrschen über die Bewertung der zeitgenössischen Situation der Bundesrepublik Deutschland. Nur eine gewisse Übereinstimmung in der Wahrnehmung der Probleme und Festlegung der Ziele lassen Taten wie die Attentate auf das Hauptquartier der amerikanischen Armee in Frankfurt und Heidelberg verständlich werden. Der von der RAF selbst als antifaschistisch, antiimperialistisch und antikapitalistisch verstandene Kurs führte jene Kritik fort, an der die 68er angesetzt hatten. Ebenso wie die Kritik der Studentenbewegung stellte er die Legitimität der bundesdeutschen Machteliten der Nachkriegszeit in Frage, indem die Integrität der USA wegen des Vietnamkriegs und Relikte der NS-Vergangenheit angeprangert wurden. So wurden der Konsens des gesellschaftlichen Selbstverständnisses und die zugrunde liegenden, vom Staat repräsentierten Werte durch die radikale Kritik der RAF erschüttert. Mit dieser Gesellschaftskritik konnte sich auch die gemäßigte Linke der Bundesrepublik identifizieren; sie hatte sie ja teilweise selbst mitentwickelt. Ohne eine solche Übereinstimmung, die eben mit der gemeinsamen Herkunft aus der Studentenbewegung zusammenhing, scheint ein Verständnis für die Überzeugungen der RAF unmöglich.

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