Profile der 1970er Jahre

Ein Themenportal des Seminars für Zeitgeschichte Tübingen

Jahrzehnt des historischen Widerspruchs

Terrorismus und Innere Sicherheit

Fabian Ziehe

Betrachtet man 30 Jahre nach dem Deutschen Herbst 1977 die 70er Jahre, war die Dekade von politischer Gewalt geprägt wie bislang keine andere Zeit der bundesrepublikanischen Geschichte. So einprägsam und nachhaltig sich die Bilder von Terroranschlägen, Entführungen und Toten in die Erinnerung der Bundesbürger eingebrannt haben: Die Einordnung des Konflikts zwischen Gewalttätern und Staatsmacht in den Kontext des Jahrzehnts fand bisher kaum statt - vor allem, was die Sicherheitskräfte anbelangt. Dabei sind die Rollen der Akteure ohne den zeitgenössischen Hintergrund nicht zu erklären. Die westdeutsche Gesellschaft sah sich mit Krisen und Brüchen konfrontiert, die nach gut zwei Jahrzehnten Wirtschaftswunder zu einer Verunsicherung der Bürger führte: Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Strukturwandel, aber auch das das Aufbrechen des patriarchalischen Familienmodells, der Generationenkonflikt und ein bröckelnder Wertekanon. In der Politik war Umdenken gefragt: Es gab weniger Ressourcen zu verteilen, die internationale Tauwetterphase bedeutete das Wegbrechen Identität stiftender äußerer Feindbilder und die aufkeimende Globalisierung nahm der nationalen Politik Entscheidungsspielräume. Die Jugend, die "68er-Generation", probte den Aufstand gegen die Gesellschaft und den Wertekanon der Eltern und inszenierte bewusst die Provokation als Bestandteil einer quasi kollektiven Sinnsuche. Der Zusammenbruch der Außerparlamentarischen Opposition (APO) 1968 hinterließ ein Sammelsurium an Konzepten und Ideologien, die das studentische Milieu und die Intellektuellen-Szene prägten. Zu guter Letzt bot eine sich wandelnde Medienlandschaft die Plattform, auf der die Konflikte öffentlichkeitswirksam, bisweilen hysterisch ausgetragen werden konnten.

In diesem Spannungsfeld agierten die Staatsmacht und der linksextremistische Terrorismus als wahre Todfeinde. Dennoch brauchten beide einander, um eigene Konzepte zu verwirklichen: So rechtfertigten sie ihr Handeln, ihre Struktur, ihre Ideologie und ihr Selbstbild - wenn nicht sogar die eigene Existenz. Keimzelle des Konflikts war die Studentenrevolte der 60er-Jahre, aus dem Schlüsselereignisse das Konfliktpotential deutlich erhöhten: Die Krawalle und die tödlichen Schüsse der Berliner Polizei auf den Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 sorgten für eine breite Entrüstung bei Studenten und APO-Anhängern, ebenso wie das Attentat auf SDS-Führer Rudi Dutschke am 11. April 1968. Der Protest erreichte in dieser Phase seinen Höhepunkt und überschritt zugleich den Zenit: Dutschke fiel gesundheitlich gezeichnet als Identifikationsfigur aus, die Große Koalition wurde 1969 von der sozialliberalen Koalition abgelöst, Kanzler Willy Brandt war für gemäßigte Linke ein akzeptabler Regierungschef. Manche Protestierenden nahmen den Weg in die SPD, andere zogen sich ins Privatleben zurück. Ein Teil traf in sozialen Bewegungen oder linken Splittergruppen wie den K-Gruppen wieder zusammen. Die Subkultur von Kommunen, Kinderläden und Szenekneipen prägte sich weiter aus. Sie bot Nischen, in denen sich kleine Gruppen von Studenten und jungen Leuten zusammenfanden, die den Kampf gegen die westliche Werteordnung fortsetzen wollten - noch aggressiver, radikaler, kompromissloser. Es bildeten sich spontaneistische Gruppen, die sich proletarisch und weniger intellektuell gaben - die "Tupamaros West-Berlin" etwa, der "Blues" oder die "Haschrebellen". Aus diesen Gruppierungen entstand die "Bewegung 2. Juni", deren Mitglieder in den Untergrund abtauchten.

Daneben entwickelte sich um Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Horst Mahler ein akademisch geprägter, gewaltsamer Widerstandskreis. Andreas Baader und Gudrun Ensslin waren an einem Brandanschlag 1968 auf zwei Frankfurter Kaufhäuser beteiligt und wurden zu drei Jahren Haft verurteilt. Wegen eines Revisionsantrags kamen sie nach 14 Monaten Haft frei und setzten sich in den Untergrund ab. Baader wurde allerdings 1970 festgenommen und wieder inhaftiert. Einen Monat später gelang es Ensslin und Mahler mit Hilfe der prominenten linken Journalistin Ulrike Meinhof Baader zu befreien. Alle Beteiligten tauchten in den Untergrund ab, was heute als Geburtsstunde der "Roten Armee Fraktion" (RAF) angesehen wird. Bis 1971 firmierten sie noch unter dem Namen "Baader-Meinhof-Gruppe" oder "-Bande", je nach Standpunkt des Betrachters. Sie stahlen Autos und überfielen Banken, bauten ein Netz konspirativer Wohnungen auf und ließen sich von palästinensischen Widerstandsgruppen militärisch ausbilden. Bei Schusswechseln zwischen Polizisten und Terroristen gab es auf beiden Seiten die ersten Toten. In Wellen steigerte sich in der Bevölkerung sowie bei den Sicherheitsbehörden ein diffuses Bedrohungsgefühl. Bombenanschläge auf staatliche Einrichtungen, das Springer-Hochhaus in Hamburg und amerikanische Stützpunkte forderten weitere Opfer. Noch 1970 wurden Horst Mahler und vier weitere RAF-Aktivisten festgenommen. Nach einer Serie von Anschlägen und Hinweisen aus der Bevölkerung wurden schließlich auch Baader, Meinhof, Ensslin und weitere Aktivisten wie Jan-Carl Raspe, Holger Meins und Brigitte Mohnhaupt gefasst.

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