Profile der 1970er Jahre

Ein Themenportal des Seminars für Zeitgeschichte Tübingen

Jahrzehnt des historischen Widerspruchs

Der Weltwirtschaftsgipfel von Rambouillet

Gunther Bessler

Am 15. November 1975 trafen auf Schloß Rambouillet bei Paris die Regierungschefs der sechs bedeutendsten westlichen Industriestaaten zusammen. Es waren dies für die Bundesrepublik Deutschland Bundeskanzler Helmut Schmidt, für Frankreich Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Gerald Ford, Italiens Ministerpräsident Aldo Moro sowie der britische Premierminister Harold Wilson und der japanische Ministerpräsident Takeo Miki. Neben den Regierungschefs waren die Außen- und Wirtschaftsminister der sechs Länder anwesend. Zustande gekommen war das Treffen durch die Initiative von Schmidt und Giscard d'Estaing, die bereits als Finanzminister ihrer Länder in Wirtschafts- und Geldfragen miteinander zu tun gehabt hatten.

Anlaß des Treffens war die weltweite wirtschaftliche Krise und Rezession, im Gefolge des Jom Kippur Krieges von 1973, als dessen Resultat Israel ägyptische und syrische Gebiete besetzt hielt. Die arabischen erdölproduzierenden Länder, organisiert in der OPEC, hatten daraufhin begonnen, Öl als politisches Druckmittel gegen die westlichen Industrienationen einzusetzen, die ihrer Meinung nach Israel unterstützen. Die Fördermenge verknappte zunächst um 10% und später sogar um 25%. Die Folge war eine weltweite Ölkrise, die im kollektiven Gedächtnis der Deutschen mit den Bildern von den "autofreien Sonntagen" haften blieben. In den USA wurde das Benzin an den Tankstellen rationiert. Angesichts dieser Lage hatte man zur Sicherung des Zugriffs auf die Ölquellen sogar militärische Optionen erwogen. Henry Kissinger, der damalige US-Außenminister und ebenfalls Teilnehmer in Rambouillet, der als der eigentliche Kopf der US-Administration galt, beschrieb die Lage so: "1973 begann eine Energiekrise, die den Ölpreis verfünffachte und in allen Ländern eine Rezession hervorrief. Alle Industrieländer der Welt waren gezwungen, riesige Geldfonds einzurichten, die finanziert werden mußten, und die Rezession stellte für die politische Stabilität aller Demokratien eine ernste Bedrohung dar. Die Leute dachten, daß, wenn es zum Ernstfall käme, es notwendig wäre, etwas zu unternehmen, um die Energiequellen zu sichern, wenn nötig militärisch. Aber das war mehr die amerikanische Sicht der Dinge als die europäische und es kam tatsächlich nie soweit." [Nachweis!!]

Der gestiegene Ölpreis bedeutete einen Inflationsschub, da den Wirtschaftskreisläufen der westlichen Industriestaaten durch die Mehrzahlungen für Öl Geld entzogen wurde. Wenngleich arabische Potentaten das Geld auch wieder reinvestierten, indem sie sich in traditionsreiche europäische Unternehmen und Konzerne einkauften (große Aktienpakete beispielsweise von Daimler-Benz, Hoechst, Thyssen und Krupp gelangten in die Hände der Ölmultis), so geschah dies erstens nicht zu 100% und zweitens mit zeitlicher Verzögerung. Die Unternehmen gaben die durch die höheren Produktionskosten gestiegenen Preise zunächst an die Verbraucher weiter, was die Inflation anheizte und die Produktion dämpfte. In der Bundesrepublik, den USA und Japan war 1975 ein Viertel der Industrie unausgelastet, so dass die Produktion heruntergefahren werden musste. Dies wiederum führte zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. In der Bundesrepublik vervierfachte sie sich innerhalb von zwei Jahren auf über eine Million. Gedrosselte Produktion und sinkende Nachfrage wirkten dem inflationären Trend zwar entgegen, all dies aber ließ das Dilemma zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit offenbar werden. Das eine Übel konnte nur auf Kosten des anderen bekämpft werden. Ebenso verhielt es sich mit Maßnahmen der Bundesbank, welche als Antwort auf die Inflation bis Ende 1974 eine kontraktive Geldmengenpolitik verfolgt hatte. Die Inflation verlangsamte sich dadurch, aber die durch den Kapitalabfluss bedingte Liquiditätskrise der bundesdeutschen Wirtschaft und niedrige Investitionsbereitschaft infolge hoher Zinsen wurden noch verstärkt, was sich in einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit niederschlug.

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