Profile der 1970er Jahre

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Sympathisanten der RAF - Seite 2 und Literatur

Zudem mag die von beiden Gruppen postulierte Erfahrung eines "repressiven Staats" eine tragende Rolle gespielt haben: Die Reaktionen der staatlichen Instanzen auf Attentate der RAF, sei es der bis dahin ungekannte Fahndungsaufwand nach der Befreiung Baaders oder die Haftbedingungen in Stuttgart-Stammheim, mochten an frühere rabiate Vorgehensweisen des Staats erinnern, solange man Repression und Terror im nationalsozialistischen oder stalinistischen System nicht am eigenen Leib erlebt hatte. Prägende Erlebnisse waren die überzogenen Reaktionen der Politik auf die Unruhen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 sowie nach dem Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967. Die staatlichen Organe griffen mit voller Härte gegen die protestierenden Studenten durch. Der "Radikalenerlass" von 1972 und die Reaktionen darauf können als Katalysator der Sympathie bewertet werden, da sich nun die Linke in Deutschland pauschal in ihrer Existenz bedroht fühlen konnte. Dies mag zwar manch einen wieder ‚auf Kurs' mit dem Staat gebracht haben. Sicherlich hat es andere wiederum noch ein Stück weiter von den Werten der Bundesrepublik entfernt, da dem gemeinsamen Feindbild mehr Profil gegeben und gleichzeitig ein Gefühl der Notwendigkeit von Gegenwehr geweckt wurde. Als Beispiel dieser Solidarität infolge von Repression kann die Kampagne der RAF zur Aufdeckung der Haftbedingungen gelten, im Zuge derer Jean Paul Sartre 1974 Andreas Baader in Stuttgart Stammheim besuchte, um sich von ihm vor Ort über die Haftbedingungen zu informieren. Der Philosoph verurteilte zwar anschließend die Lebensumstände der Inhaftierten, distanzierte sich aber ausdrücklich von den Anschlägen der RAF, woran deutlich wird, dass nur in den seltensten Fällen eine komplette Übereinstimmung vorlag.

Neben solchen zentralen Berührungspunkten haben noch weitere Faktoren die Sympathie gegenüber der RAF begünstigt: so waren viele Medien in den 60er Jahren mit jungen progressiven Redakteuren besetzt, die sich oftmals zumindest teilweise mit den Ideen der 68er identifizierten oder in der Studentenbewegung selbst aktiv gewesen waren und in diesem Sinne meinungsbildend auf ihre Leserschaft einwirkten. Ulrike Meinhof, die bekannteste und wohl auch extremste Persönlichkeit unter ihnen, arbeitete als Redakteurin für die linksintellektuelle Zeitschrift "Konkret" und für das Fernsehmagazin "Panorama", bevor sie sich der RAF anschloss. Zudem sahen sich Linke in der Bundesrepublik einem doppelten Erwartungsdruck von Seiten der Baader-Meinhof-Gruppe und des Staates ausgesetzt. Der sich zunehmend radikalisierende Sympathisanten-Diskurs, der bald alle, die Verständnis für die Aktionen oder Ziele der RAF aufbrachten, selber als Mitglieder oder Unterstützer der RAF einstufte, verdeutlicht die Zuspitzung der Verhältnisse. Es erscheint denkbar, dass viele Intellektuelle erst dann zu heimlichen Unterstützern der RAF wurden, wenn sie, ideologisch in die Ecke gedrängt, glaubten, sich für eine der Positionen entscheiden zu müssen.

Die Tatsache, dass sich ein nicht unerheblicher Teil der Intellektuellen zumindest eine Zeit lang mit den Ideen der RAF identifizieren konnte, verweist darüber hinaus auf einen generellen Wandel in der Gesellschaft: Der vorher in weiten Teilen vorhandene Konsens über die Grundwerte der Nachkriegsgesellschaft war aufgebrochen und zur Diskussion gestellt worden. Allerdings zeigt sich in der Untersuchung der Beziehungen zwischen Sympathisanten und Terroristen das Problem des ‚double-bind': Es ist oftmals nicht genau ersichtlich und kann auch wohl nicht völlig geklärt werden, inwieweit Sympathie in bestimmten Teilen der Bevölkerung durch Kampagnen der RAF wie jener zur Aufdeckung der Haftbedingungen erst erzeugt wurde oder aber durch Berührungspunkte in der Ideologie bereits grundgelegt war. Unterstützung und Verständnis in der Bevölkerung stellten ja zumindest zu Beginn für die RAF ein integrales Moment ihres politischen Plans dar, der gemäß der Überzeugung, dass die Studentenbewegung selbst das revolutionäre Subjekt sei, darauf ausgerichtet war, Interesse bei aufgeschlossenen Dritten zu wecken. Das Phänomen der Sympathie weist zudem auf einen hohen Grad der Politisierung, zumindest in bestimmten Gesellschaftsteilen, hin und zeigt darüber hinaus, dass die Ideen der Studentenbewegung, wenn auch in modifizierter Form, weiterwirkten. Hier stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Weg von der gescheiterten Studentenbewegung zum radikalen Terrorismus vorgezeichnet war. Man wird sie nicht eindeutig mit "Ja" oder "Nein" beantworten können.

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