Profile der 1970er Jahre

Ein Themenportal des Seminars für Zeitgeschichte Tübingen

Innere Sicherheit - Seite 2

Die RAF-Gefangenen waren zunächst einzeln inhaftiert, meist unter verschärften Haftbedingungen. Vor allem in der linken Öffentlichkeit wurde dies - teils gerechtfertigt, teils ungerechtfertigt - als "Isolationshaft" angeprangert. Es entstanden Gefangenenkomitees wie die "Roten Hilfen". Auch Gruppen wie das Heidelberger Patientenkollektiv erklärten sich solidarisch. Aus diesem Milieu speiste sich die so genannte zweite RAF-Generation. Die Inhaftierten heizten die Diskussion durch Hungerstreiks an, infolgedessen Holger Meins sich 1974 zu Tode hungerte. Die RAF-Gefangenen Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe kamen 1975 in die Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim, wo ihnen bis 1977 der Prozess gemacht wurde. 1976 erhängte sich Ulrike Meinhof in ihrer Zelle, nachdem es gruppenintern zum Eklat gekommen war.

Die "zweite Generation" hatte sich zur Aufgabe gemacht, die Freilassung der inhaftierten RAF-Gefangenen zu erzwingen. Nachdem ihre Reorganisation mehrfach von der Polizei durchkreuzt wurde, überfielen sie 1975 die Deutsche Botschaft in Stockholm - mit desaströsem Ausgang für beide Seiten. In der Zwischenzeit hatte sich die Polizei eher auf die "Bewegung 2. Juni" konzentriert, die den Präsident des Berliner Kammergerichts Günter von Drenkmann ermordet und mit der Entführung des Berliner CDU-Spitzenkandidaten Peter Lorenz 1974 Gesinnungsleute freigepresst hatte. Die RAF geriet in Zugzwang, auch weil sich der Stammheimprozess trotz aller Verzögerungstaktik allmählich dem Abschluss näherte. 1977 erschoss die RAF den Generalbundesanwalt Horst Buback in seinem Auto, Jürgen Ponto, der Vorstandssprecher der Dresdener Bank, kam bei einem Entführungsversuch ums Leben. Im September desselben Jahres wurde der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt, um die Stammheimer Häftlinge sowie weitere Gesinnungsgenossen freizupressen. Damit begann der 44 Tage dauernde "Deutsche Herbst". Verschärft wurde die Lage durch die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Mogadischu von einem solidarisierenden Palästinenser-Kommando. Als die Bundesgrenzschutz-Spezialeinheit GSG-9 am 18. Oktober die Maschine stürmte, die Geiseln befreite und drei der vier Geiselnehmer erschoss, begingen in der "Nacht von Stammheim" Baader, Ensslin und Raspe Selbstmord, Irmgard Möller überlebte schwer verletzt. Am Tag drauf fand die Polizei den ermordeten Schleyer.

Die Geschichte der RAF ist bis heute ein Stein des Anstoßes. Ereignisgeschichtlich sind manche Vorgänge minutengenau und akribisch aufgearbeitet. Andere Aspekte sind bis heute ungeklärt. Dies bietet ein weites Feld für Mutmaßungen, Anklagen und Verschwörungstheorien. Die Hintergründe, Motive und ideologischen Grundlagen der RAF-Terroristen sind bislang am besten erforscht - obwohl man sich heute mit einer irritierenden Widersprüchlichkeit konfrontiert sieht. Ideologisches Fundament ist der Marxismus-Leninismus, angereichert durch Ideen Maos und lateinamerikanischer Guerillagruppen. Auf letztere ist das Konzept der "Stadtguerilla" zurückzuführen, durch Propaganda, Anschläge, Entführungen und Morde die Ordnung eines industrialisierten Landes ins Wanken zu bringen. Die Ablehnung des westdeutschen Staates, des kapitalistischen "Schweine-Staats" so der RAF-Jargon, basierte auf dem Vorwurf, dieser sei keine Demokratie, sondern ein faschistoider, repressiver Staat. Hinzu kam die auch in der übrigen Gesellschaft weit verbreitete Ablehnung des Vietnamkrieges - dabei wurde die Bundesrepublik als ergebener Vasall des Aggressors, also der USA, angesehen. Ein deutsches Spezifikum war der Vorwurf, dass sich die Deutschen nicht mit ihrer NS-Vergangenheit auseinandergesetzt hätten und die "Nazis" noch immer in Amt und Würden säßen. Bei der RAF wurde dies mit der Kritik am Staat Israel, genauer dem Zionismus, verknüpft: Den Holocaust des NS-Regimes würden die damaligen Opfer nun als Täter bei der Unterdrückung der Palästinenser fortführen. Dieser zuweilen verwirrende Mix aus Antiimperialismus und Antizionismus, der auch offen antisemitische Züge tragen konnte, durchzog die Verlautbarungen der RAF von Beginn an.

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