Profile der 1970er Jahre

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Innere Sicherheit - Seite 3

Durchzuhalten war dieses Denksystem der starren Dogmen, das Verschwörungstheorien hegte und pflegte, nur durch Abschottung. Der totale Bruch mit dem alten Leben, das Abtauchen in den Untergrund und die soziale Kontrolle der Gruppenmitglieder untereinander waren erforderlich, um die tief ins Private hineinreichende Ideologie wahren zu können. Die Gruppe war unter der Führung von Baader, Ensslin und Meinhof zunächst noch offen für äußere Einflüsse, sie zeigte sich intern und extern bis zu einem gewissen Grad an politischen Diskussionen interessiert und bettete sich in die linke Subkultur halbwegs ein. Die "zweite Generation", die sich nach der Inhaftierung des Kernkaders 1972 formierte, war schon kaum mehr in den 68er-Protest involviert. Sie konzentrierte sich auf die Gefangenenbefreiung und betrachtete dies als politischen Kampf. Die Hierarchie, in der die Gefangenen von Stammheim nach wie vor dominierten, prägte sich immer weiter aus. Nach der Inhaftierung einiger RAF-Mitglieder bis 1974 tauchten die Kommandos tiefer in den Untergrund ab, was freilich Isolation und dogmatische Starre noch erhöhte. Der "Deutsche Herbst" beraubte die RAF nicht nur ihrer ideologischen Köpfe, sondern auch großer Teile der Sympathisanten in der linken Szene. Die RAF nach der "Nacht von Stammheim" war eine Sammlung fast hermetisch verschlossener Zellen. Über viele Mitglieder ist bis heute wenig bekannt. Erst die heftig umstrittene Kronzeugenregelung von 1989 bewog einzelne Gruppenmitglieder auszusteigen. So zwiespältig die Regelung gewesen sein mag, sie bot erstmals einen Ausweg aus dem Dilemma, welches innerer Gruppendruck und äußerer Fahndungsdruck erzeugten und zweifelnden Terroristen keinen Weg aus dem Untergrund bot. Das ist ein Grund, warum die Entwicklung des bundesdeutschen Terrorismus nicht zu erklären ist, ohne die Entwicklung der Gesellschaft einzubeziehen. Es bietet sich an, bei den direkten Kontrahenten, den Staatsschutzorganen, anzusetzen. Die Sicherheitsbehörden befanden sich in den 1970er Jahren im Umbruch. So hatte die politische Liberalisierung, die sich auch in Deutschend durchsetzte, Einfluss auf die Staatsschutzorgane. In den 50er und 60er Jahren konzentrierten sich der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vor allem auf die Abwehr externer Bedrohungen. Aus Angst vor kommunistischer Unterwanderung sollten alle (linken) staatsfeindlichen Organisationen kontrolliert oder verboten werden. Durch die Ostverträge, die deutsch-deutsche Entspannung, den sich anbahnenden Helsinki-Prozess der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) sowie die Konsolidierung des parlamentarisch-demokratischen Staats war das Schreckensbild der Unterwanderung durch den Kommunismus verblasst. So ist es kein Zufall, dass 1968 die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) quasi als Nachfolgeorganisation der KPD zugelassen wurde: Die Zahl der Unterstützer kommunistischer Ideen war seit Gründung der Bundesrepublik massiv zurückgegangen. Die bürgerliche Schicht ängstigte sich nicht mehr vor der kommunistischen Gefahr. Vielmehr sah sie sich von APO und SDS bedroht. Obendrein: Deren Protagonisten waren Kinder des Bürgertums, und die Sympathisanten waren es auch. Ging von den eigenen Kindern eine Gefahr für das bundesdeutsche System aus? Brauchte es deshalb ein Umdenken in der Sicherheitspolitik, ein Konzept für die "Innere Sicherheit"? Tatsächlich kam dieses Schlagwort Anfang der 70er Jahre in der Innenpolitik in die Diskussion. Damit sollte die Exekutive Mittel in die Hand bekommen, die es der "wehrhaften Demokratie" erlaubte, den demokratischen Verfassungsstaat zu schützen.

Zu den politischen Gründen für die Neuausrichtung der Staatsschutzorgane gab es auch andere Faktoren: So kam es um 1970 zu einer Pensionierungs-Welle in der Polizei. Mit einer neuen Generation an Polizisten kamen auch neue Konzepte auf wie die Nutzung elektronischer Hilfsmittel und computergestützter Datenverarbeitung. Mit dem neuen Selbstbewusstsein der Deutschen, die sich vom Kriegsverlierer zum gleichberechtigten Partner der westlichen Staaten entwickelten (oder entwickeln wollten), sah man auch innere Strukturen nicht mehr als unabänderbar an. So wurde auch die von den Besatzungsmächten und im Grundgesetz bewusst föderal und mithin schwache Stellung der Polizei hinterfragt. Das Bundeskriminalamt, das bislang vor allem der Kommunikation der Landeskriminalämter diente, wurde ab 1970 ausgebaut und mit weit reichenden Befugnissen ausgestattet. Die Strukturen zwischen den Landespolizei, Landes- und Bundesverfassungsschutz wurden enger verknüpft, das BKA zur Informations- und Kommunikationszentrale ausgebaut, einzelne polizeiliche Aufgaben auf den Bund übertragen. Das BKA bekam mehr Personal, eine bessere Ausstattung, das Recht, auch eigenständig zu ermitteln - und vor allem einen neuen Chef: Horst Herold leitete von 1971 an die Behörde und schaffte es in den 70er Jahren unter dem Eindruck des Linksterrorismus, eine Fülle an Kompetenzen, Personal und technischer Ausstattung anzuhäufen. Durch computergestützte Datensammlungen und deren Verarbeitung wurde die Rasterfahndung möglich. Parallel wurde der Bundesgrenzschutz (BGS) beim Einsatz im Inneren gestärkt (z.B. an Flughäfen). Nach der Geiselnahme durch die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" bei den Olympischen Spielen 1972 in München wurde die GSG 9 gegründet.

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