Profile der 1970er Jahre

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Wirtschaft in den 70ern - Seite 2 und Literatur

Diese Entwicklungen oder auch "Wucherungen" des geordneten Treibhaussystems waren von einer "dünnen Plastikhülle" geschützt: dem Weltwährungssystem von Bretton Woods, was aber eben nur eine "dünne Hülle" darstellte und im Jahre 1971 riss. Die Staaten sahen sich vor einer großen Aufgabe, ein neues weltumgreifendes Währungssystem aufzubauen. Da aber ein System fester Wechselkurse nicht in der Lage war, den Spannungen Herr zu werden, ging man zu einem freien Kapitalmarkt, mit all seinen Risiken, über. Für die Bundesrepublik hieß dies, dass die Bundesbank eine stabilitätsorientierte, restriktive Geldmarktpolitik betrieb. Damit konnte sich die BRD von den internationalen "Inflationsgeleitzug" lösen und blieb fortan deutlich hinter den Inflationsraten des Auslands zurück (vgl. von Prollius 2006: S. 194).

Diese "Wucherungen" oder auch "Freilandkulturen", um in der Terminologie von Hankel zu verbleiben, wuchsen immer weiter und übten einen enormen Druck auf die nationalen Treibhäuser aus, so dass sich diese nun nicht nur mit der Temperaturregelung innerhalb ihrer Glashauses beschäftigen, sondern auch auf die Einflüsse von außen reagieren mussten, denn wenn sich das Klima außerhalb des nationalen Gebäudes erwärmt, hat dies auch einen Einfluss auf die Temperatur hinter den Glasscheiben. Es kann von einer "globalen Erwärmung" des Klimas gesprochen werden, die gepaart mit einem immer größer werdenden Misstrauen der Staaten untereinander auftritt. So sahen sich die Politiker, die für die nationalen Temperaturen zuständig sind, gezwungen, auch auf internationaler Ebene über die "Erwärmung" der Außentemperatur zu diskutieren. Die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft hatte auch eine Internationalisierung der Maßnahmen zur Regulierung zur Folge. Zu diskutieren bleibt, ob die Maßnahmen und Überzeugungen von Keynes, der Glaube an die politische Steuerung der Wirtschaft, auf internationaler Ebene zu realisieren ist. Aber diese Diskussion stellten sich die Zeitgenossen erst im Anschluss an die Krise, denn sie versuchten innerhalb des Systems die Krise mit den ihnen bekannten Mitteln zu lösen. Wie im Hankel-Zitat eingangs schon formuliert, "stand die Lösung [der Krise] nicht in den Lehrbüchern" (Hankel 1975: S. 25). So kann es auch nicht Sinn der Analyse sein, die Maßnahmen der Politiker zu kritisieren, denn es ist auch immer ihre Eingebundenheit ins System zu berücksichtigen. Ebenso wenig darf man die Maßnahmen unter Zuhilfenahme heutiger Erkenntnisse werten, denn diese standen den Akteuren zum Zeitpunkt ihres Handelns nicht zur Verfügung, sondern es soll vielmehr auf die Rolle des Akteurs innerhalb des Systems und unter Berücksichtigung seiner damaligen Möglichkeiten eingegangen werden.

Wenn wir nun die Maßnahmen von Bundeskanzler Helmut Schmidt betrachten, möchte ich besonders auf den innovativen Charakter seiner Gipfeldiplomatie hinweisen. Denn dies zeigt gerade, dass er nicht im System verharrte, sondern versuchte, über andere Wege die Probleme der Wirtschaft in den 1970er Jahren zu lösen. Schmidt veröffentlichte kurz nach dem Ende seiner Kanzlerschaft einen Aufsatz mit dem Titel "Glanz und Elend der Gipfeldiplomatie". Darin betont er die Wichtigkeit von Spitzenbegegnungen, denn nur durch persönlichen Kontakt sei es möglich, die Kompromissbereitschaft unter den Staaten zu fördern und so Vertrauen zu schaffen. Im Zentrum der Überlegungen Schmidts stehen die acht Weltwirtschaftsgipfel seiner Amtszeit, die einerseits als "neue Form kollektiver Führerschaft" (Rebentisch 1988: S. 308) konzipiert waren, aber andererseits auch als "'konzertierte Aktion' zur Globalsteuerung der Weltwirtschaft" (Rebentisch 1988: S. 308) verstanden werden können. In diesem Spannungsfeld steht die Wirtschaftspolitik der Regierung Schmidt.

Literatur

  • Wilhelm Hankel, Der Ausweg aus der Krise, Düsseldorf 1975.
  • Michael von Prollius, Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945, Göttingen 2006.
  • Dieter Rebentisch, Gipfeldiplomatie und Weltökonomie. Weltwirtschaftliches Krisenmanagement während der Kanzlerschaft Helmut Schmidts 1974-1982, in: AfS 28 (1988), S. 307-332.
  • Helmut Schmidt, Glanz und Elend der Gipfeldiplomatie - und ihre Notwendigkeit, in: Kämpfer ohne Pathos. Festschrift für Hans Matthöfer zum 60. Geburtstag am 25.September 1985, hrsg. von Helmut Schmidt und Walter Hesselbach, bearb. von Gerhard Beier, Bonn 1985, S. 235-239.

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