Profile der 1970er Jahre

Ein Themenportal des Seminars für Zeitgeschichte Tübingen

"Generation 68" - Seite 3

3. Diskursprägend für das Jahr 1968 sind vor allem Fotografien von Selbstdarstellern, Künstlern und Haschrebellen - die nackten Kommunarden von hinten an der Wand, die barbusige Uschi Obermeier auf dem Sterntitel, kiffende Hippies auf vergammelten Matratzen. Untermalt mit Musik von Jimi Hendrix oder den Rolling Stones prägen sie das Bild einer vermeintlich hedonistischen Generation, die arbeitsscheu und pflichtvergessen war, ihre Kinder offenbar aus Faulheit antiautoritär erzog und für viele der heutigen Probleme verantwortlich ist. Das Etikett "Hedonismus" bleibt vor allem deshalb an den "68ern" kleben, weil es derjenige Aspekt war (unter den vielen anderen, die "1968" ausmachten), der in der breiten, lüstern-schockierten Öffentlichkeit am meisten Resonanz fand. Dass Obermeier und Langhans ihre Bettgeschichtchen der Öffentlichkeit präsentierten, war kein Anstoß zur Liberalisierung, sondern eine Folge davon. Statistiken und Umfragen zeigen die veränderte Sexualmoral schon Anfang der 60er Jahre (Friedrichs 1971). Ähnliches gilt für Kunzelmann, in seiner Rolle als Faxenmacher, nicht als antisemitischer Terrorist, der er eben auch war (Kraushaar 2005). Er hatte die Regeln der Mediengesellschaft begriffen und bot dem Publikum, was es sehen wollte - Sex and Crime. Repräsentativ waren die Aussteiger und kiffenden Künstler nicht. Bei einem rein kulturwissenschaftlichen Ansatz verstellen die diskursprägenden Bilder leicht den Blick auf tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen. Das heutige Interesse gerade an diesem Aspekt von "1968" zeigt, dass Hedonismus ein breites gesellschaftliches Phänomen war und ist. In der westlichen Welt hatte die Bevölkerung mehr Kaufkraft und mehr Freizeit, die es mit Sinn zu füllen galt - Unterhaltung, Konsum, Reisen und Genuss lagen da nahe. Verursacht wurde das sicher nicht von den "68ern" (so etwa Malinowski/Sedlmeier 2006).

4. Ein aussagekräftiges Beispiel für das Fortleben deutscher Traditionen stellen die zahlreichen kommunistischen Splittergruppen der 70er Jahre dar. Egal ob Maoisten wie der KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschlands), die KPD/ML (Marxisten-Leninisten) und die KPD/AO (Aufbauorganisation) oder Anti-Maoisten von der DDR-finanzierten DKP, sie hatten eines gemeinsam: Sie mochten sich gegenseitig nicht und fanden außerhalb der Hochschulen wenig Anklang (Koenen 2001). In ihrem teilweise kreuzbiederen Auftreten, mit einem oft penetrant nationalistischen Ton in ihren Schriften und ihrem theoretischen Dogmatismus stellen die K-Gruppen wohl jenen Teil aus dem "68er"-Umfeld dar, der am wenigsten von der Westernisierung betroffen war.

5. Oft in Zusammenhang mit "1968" genannt werden die antiautoritäre Ökologie- und Frauenbewegung, die zwar erst Mitte der 70er Jahre entstanden, aber doch zum Teil eine personelle und ideelle Kontinuität aufweisen. Interessant an der Ökologiebewegung ist, dass sie das ursprünglich deutsch-völkische Thema der Umweltbewahrung ins linke Lager geholt hat. Obwohl zeitweise nicht ganz frei von Kulturpessimismus, begannen die Ökobewegung und mehr noch die Frauenbewegung, sich von deutschen Traditionen zu lösen. Die "zweite Generation der 68er" in den "neuen sozialen Bewegungen" schaute weit über den nationalen Tellerrand hinaus. Die Frauenbewegung wurde von Frankreich inspiriert. Die Umweltbewegung war allein schon aus der Erkenntnis, dass Umweltprobleme keine Grenzen kennen, nicht auf den nationalen Horizont beschränkt und wurde zum Vorbild für ähnliche Gruppierungen in anderen Ländern. Dogmatismus und Verbohrtheit schleiften sich im Laufe der Jahre ab und schließlich öffnete sich die Grüne Bewegung sogar für alte Kader aus den K-Gruppen. Die Stadtteilkomitees und Bürgerbewegungen am Ende der 70er Jahre kennzeichneten einen Wertewandel in der Gesellschaft. Passé waren deutsche Untertanenmentalität und Obrigkeitshörigkeit. Hier zeigte sich ein Verständnis von pluraler Demokratie, die von unten, von mündigen Bürgern getragen wurde.

6. Ein Aspekt, den man vielleicht nicht sogleich mit "1968" in Verbindung setzt, der aber eine bedeutende Rolle spielt, wenn man nach den ideengeschichtlichen Kontinuitäten in Deutschland fragt, ist der Rechtsradikalismus. Mitte der 60er Jahre gab es eine Phase von parteipolitischen Neugründungen. 1967 war die NPD bereits in sechs Landtagen vertreten, im Jahr darauf erreichte sie in Baden-Württemberg fast 10% und verpasste 1969 nur knapp den Einzug in den Bundestag. Das Erstarken des rechten Randes war eine Folge von ideeller Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, weniger eine Reaktion auf die Neue Linke (Winkler 2000, S. 254). Nach der Erosion der normativen Weltbilder mit ihrer Traditionsbindung in den bürgerlichen, kirchlichen oder sozialistischen Milieus suchte man in einer Zeit gesellschaftlicher Spannungen nach überzeitlichen Orientierungen und Werten - und eine nicht ganz kleine Minderheit fand sie an den politischen Rändern.

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